Warum ich Modersohn-Becker nicht mag

Veröffentlicht am 12. Juli 2024 um 08:00

Also, nein, ich habe nichts gegen die Dame. Wirklich nicht. Warum auch? Sie war definitiv eine begabte Künstlerin, ihre Werke sind schön und strahlen eine elegante Schlichtheit und Ruhe aus (Ruhe, die mir in meinem Leben oft fehlt), und außerdem: ihr Stil war ziemlich einzigartig für ihre Zeit. Sie hatte also einen ausgeprägten "Eigen-Sinn" und das schätze ich an ihr. Manche ihrer Werke finde ich auch wirklich zauberhaft und aufgrund ihrer einfachen Formensprache ist sie wunderbar geeignet als Vorbild, um mit dem Malen zu beginnen. Auf ihre Biografie will ich hier gar nicht weiter eingehen, es sei nur gesagt, dass sie 1876 geboren wurde und bereits 1907 im Alter von gerademal 31 Jahren kurz nach der Geburt ihrer Tochter verstarb. Sie war 25 Jahre jünger als Van Gogh und starb ein Jahr nach Cézanne. Cézanne und Gauguin waren wohl auch diejenigen, die ihren Stil am meisten beeinflußten. 

Obwohl ich vieles an ihrem Stil eigentlich mag - den pastösen Farbauftrag, die Schlichtheit und Reduktion der Formen, die einfache Farbpalette - irgendwie springt der Funke für mich nicht über, ihre Bilder bleiben für mich fremd, sie berühren mich nicht. Vielleicht ist das ein persönliches Defizit, vielleicht sind wir uns einfach zu unähnlich und da entsteht keine Resonanz. In einem Museum würde ich an ihren Bildern mit einem flüchtigen Seitenblick vorbeigehen - es würde mich nicht catchen, lädt mich nicht ein, zu verweilen.

 

Ganz anders hingegen die Werke von Corinna Wagner, einer zeitgenössischen Künstlerin aus Frankfurt, die ebenfalls sehr vereinfachte, fast Maskenartige Portraits malst, auch sie hat einen pastösen Farbauftrag und ihre Bilder haben eine ähnlich ruhige, minimalistische und zugleich melancholische Ausstrahlung. Doch ich kann kaum genug davon kriegen. Ich werde regelrecht süchtig nach ihren Werken. Doch was ist so anders an ihr? Was reizt mich an ihren Bildern? Was fasziniert mich daran?

 

Ein Element, das es mir besonders angetan hat, ist der rohe Kreidestrich, den sie gerne einsetzt, und der wie eine Sologeige aus dem sonst so ruhig und pastös gehaltenen Hintergrund hervortritt, wie ein Aufschrei, wie das Kratzen der Kreide auf der Tafel, ein Ton, der uns durch Mark und Bein geht, der uns wachrütttelt... eine Kohlrabenschwarze Haarsträhne, die sich verselbstständigt hat, die sich einfach nicht in das ruhige Ensemble hineinzähmen lässt, eine Rebellin, die hervorbricht, die den wahren Charakter der sonst so lieblichen, introvertierten Dargestellten offenbart, eine Haarsträhne, so wiederspestik, störrisch und stark, das sie einem unheimlich ist, etwas unberechenbares geht von ihr aus, man hat sofort das Gefühl, die zarte Erscheinung ist zu den wildesten Wutausbrüchen fähig, oder es handelt sich um eine Hexe, eine Magierin... Irgendwas hat es auf sich, mit diesem rohen Kreidestrich, das das ganze Bild auf fast unheimliche Art lebendig macht.

 

Auch liebe ich die Wahl ihrer Farbpallete, die Farben "Schneewittchens", der "Dreifaltigen Göttin" - weiß-rot-schwarz, da steckt soviel kraftvolle Symbolik dahinter, das alleine wäre schon einen Blog-Artikel wert. Immer wenn ich in meinem künstlerischen Prozess feststecke, nicht weiter komme, keine Kreativität mehr habe - dann komme ich jedesmal auf diese drei Farben zurück. Sie bringen mich jedesmal wieder in den Fluß, in die Kraft, in den Flow. Sie haben etwas magischen und mystischen an sich. Doch auch in ihren bunten Bildern ist ihre Farbpalette besonders - frisch, fröhlich, anregend. Ihre Farben sprechen direkt das Kind in mir an, sie wecken die Lust zu Gestalten, die Kreativität.

Ich liebe ihre Werke - und ja, es ist unfair, sie mit Modersohn-Becker zu vergleichen, denn Corinna Wagner ist etwa 100 Jahre später geboren, und in diesen 100 Jahren ist unglaublich viel passiert, schreckliches aber auch großartiges, die Kunst hat sich einmal komplett aufgelöst und neu erfunden, sich in Millionen Mosaikteilchen zersplittert - und da sind wir jetzt mittendrin. Und all das fließt in Corinnas Kunst mit ein, ob nun bewusst oder unbewusst. Die Welt ist nicht mehr die, die sie vor 150 Jahren war, und Corinna Wagner kann heute so malen, weil eine Modersohn-Becker und ein Edvard Munch und ein Picasso und ein Gauguin und ein Cy Twombly und ein Jackson Pollock vor ihr waren, Traditionen gesprengt und neue Räume erschaffen haben, die heute ganz selbstverständlich von Künstlern genutzt und begangen werden können. 

 

Doch wie ist eure Meinung zu den beiden Künstlerinnen? Welche berührt euch mehr? Und warum? Betrachtet Kunst immer mit eurem Herzen - denn nur dafür ist sie da! 

 

mehr von Corinna Wagner findet ihr unter:

https://corinnawagner.wixsite.com/corinna-wagner/solitary-figures

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